Die Heiligen in der Herrlichkeit – Teilnahme am Göttlichen Rat

Einleitung

Die Frage nach dem Schicksal der Verstorbenen begleitet die Menschheit seit jeher – sei es im Flüstern alter Mythen, im Klang religiöser Liturgien oder in der stillen Hoffnung des Einzelnen auf ein Leben nach dem Tod. Für das Christentum jedoch ist diese Frage nicht bloß ein spekulativer Blick ins Jenseits, sondern tief verankert in der Offenbarung Gottes. Besonders im östlich-orthodoxen Christentum findet sich eine bemerkenswert alte und ehrfurchtgebietende Vorstellung: die Lehre von den Heiligen in der Herrlichkeit, die aktiv an der göttlichen Wirklichkeit teilnehmen.

Diese Lehre ist keine sentimentale Vertröstung oder bloße Symbolik. Vielmehr spricht sie von einer echten, konkreten und wirksamen Teilnahme erlöster Menschen am göttlichen Leben – einer Teilnahme, die sich nicht nur auf das “Himmelreich” beschränkt, sondern in der Gegenwart beginnt, innerhalb des mystischen Leibes Christi, der Kirche.

Im Zentrum dieser Lehre steht das biblische Konzept des göttlichen Rates (engl. Divine Council), das sich wie ein roter Faden durch die heiligen Schriften zieht – von der Genesis über die Psalmen bis zu den apokalyptischen Visionen der Propheten. Dort erscheint Gott als König auf einem Thron, umgeben von Engeln und anderen himmlischen Wesen, die an seinem Gericht, seinem Ratschluss und seiner Regierung Anteil haben. Bemerkenswert ist, dass sich im Laufe der Heilsgeschichte auch Menschen in diesen himmlischen Hofstaat einreihen – zuerst einzelne Propheten im Alten Testament, dann in der Fülle der Zeit alle, die durch Christus erlöst und geheiligt wurden.

Die Theologie der Kirchenväter und die Liturgie der Kirche haben diese biblischen Visionen nicht als ferne Bilder interpretiert, sondern als geistliche Realität, in der die Heiligen eine neue Daseinsweise annehmen: Sie sind keine bloßen „Erinnerungen“ oder Vorbilder, sondern lebendige Glieder der himmlischen Kirche. Sie sind gegenwärtig, sie beten mit uns, sie regieren mit Christus. Ihre Herrlichkeit ist Ausdruck der Verherrlichung der menschlichen Natur, die in Jesus Christus selbst vollendet wurde.

Dieser Artikel will diesen bedeutungsvollen Zusammenhang in aller Tiefe ausleuchten: Wie die Bibel den göttlichen Rat beschreibt, wie einzelne Menschen wie Henoch, Elija und Moses bereits im Alten Testament daran teilnehmen durften, wie Christus der Menschheit den Zugang dazu eröffnete – und was das für unseren Glauben heute bedeutet. Die hier dargestellte Sichtweise fußt insbesondere auf der Lehre der altkirchlichen Orthodoxie und wird in der modernen Theologie oft zu wenig beachtet. Umso wichtiger ist es, dieses alte und zugleich lebendige Verständnis wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

Der göttliche Rat im Alten Testament

Im Alten Testament begegnet uns immer wieder die Vorstellung eines himmlischen Rates – einer göttlichen Versammlung, in der Gott nicht isoliert handelt, sondern umgeben ist von himmlischen Wesen, die ihm dienen, ihn preisen und auch an Entscheidungsprozessen teilhaben. Diese Vorstellung ist keineswegs eine Randnotiz der biblischen Offenbarung, sondern bildet ein zentrales Motiv besonders in den prophetischen Schriften und der alttestamentlichen Weisheitsliteratur.

Bereits in Psalm 82,1 heißt es:

„Gott steht in der Gottesversammlung, inmitten der Götter richtet er.“

Dieser Vers vermittelt ein Bild von Gott als Richter, der mitten unter anderen göttlichen Wesen – den sog. „elohim“ – Recht spricht. Die hebräische Bibel kennt also ein Konzept, das dem himmlischen Hofstaat ähnelt: ein Kreis von geistlichen Wesen, die Gott umgeben und an seinem Wirken beteiligt sind. Diese Idee wird im Alten Orient auch in anderen Religionen greifbar, aber im biblischen Monotheismus wird sie klar auf die Souveränität und Heiligkeit des einen Gottes hin geordnet.

Propheten als Teilnehmer dieses Rates

Nur sehr wenigen Menschen wurde im Alten Bund gewährt, in diese himmlische Versammlung einzutreten oder auch nur einen Blick auf sie zu erhaschen. Solche Visionen waren außergewöhnlich und kennzeichneten einen Menschen als Propheten, also als einen, der nicht nur Botschaften empfängt, sondern an den geistlichen Realitäten der unsichtbaren Welt teilhat.

Ein herausragendes Beispiel ist der Prophet Jesaja. In Jesaja 6 berichtet er von einer überwältigenden Vision, in der er den Herrn auf einem Thron sieht, hoch und erhaben, die Säume seines Gewandes füllen den Tempel. Umgeben ist Gott von Seraphim, flammenden Engeln, die unaufhörlich rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen!“ Dieses Bild ist nicht nur Ausdruck der Heiligkeit Gottes, sondern auch der himmlischen Ordnung, in der alles Lobpreis, Anbetung und Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen ist.

Doch was Jesajas Vision so theologisch bedeutsam macht, ist nicht nur der Anblick Gottes, sondern die Art der Kommunikation: Gott befiehlt Jesaja nicht direkt. Stattdessen stellt er eine Frage in die Versammlung hinein:

„Wen soll ich senden? Und wer wird für uns gehen?“

Diese Formulierung erinnert nicht an ein einsames göttliches Dekret, sondern an eine Beratung im göttlichen Rat – eine deliberative Struktur, in der sogar menschliche Beteiligung möglich ist. Jesaja antwortet freiwillig: „Hier bin ich, sende mich!“ – ein Akt der Hingabe und ein Eintritt in die göttliche Mission.

Diese Szene ist bemerkenswert, weil sie deutlich macht: Die Berufung zum Propheten bedeutet zugleich eine Teilnahme am himmlischen Geschehen. Der Prophet ist nicht bloßer Sprachrohr Gottes, sondern wird Teilnehmer an einem übernatürlichen Dialog, an der göttlichen Planung selbst.

Parallelen in 1 Könige 22

Ein weiterer zentraler Text, der den göttlichen Rat als Beratungsversammlung darstellt, findet sich in 1 Könige 22,19–22. Dort berichtet der Prophet Micha von einer Vision, in der er den Herrn auf seinem Thron sieht, umgeben von himmlischen Heerscharen zur Rechten und zur Linken. Der Herr stellt auch hier eine Frage:

„Wer will Ahab überreden, dass er hinaufzieht und bei Ramot-Gilead fällt?“

Mehrere Geister bieten Vorschläge, bis schließlich einer sagt: „Ich will hingehen und ein Lügengeist sein im Mund aller seiner Propheten.“ Und Gott antwortet: „Du sollst ihn überreden und wirst es auch können. Geh und tu es!“

Auch hier sehen wir dieselbe Struktur: Gott initiiert eine Frage an den göttlichen Rat, auf die hin sich ein geistliches Wesen freiwillig meldet, um einen göttlichen Auftrag auszuführen. Der Rat ist dabei nicht allmächtig oder autonom – Gott bleibt der souveräne Herr –, aber es ist auffällig, dass Gott sich offenbar nicht scheut, die Entscheidung in einem Prozess der Kommunikation und Reaktion reifen zu lassen.

Theologische Bedeutung

Beide Texte – Jesaja 6 und 1 Könige 22 – zeigen auf eindrucksvolle Weise, dass der Himmel kein starrer, passiver Ort ist, sondern ein Ort der lebendigen Gemeinschaft und Interaktion. Gott ist der absolute Souverän, aber er wirkt in Beziehung, auch mit seinen himmlischen Wesen. In Ausnahmen dürfen auch Menschen diesen Bereich betreten – nicht durch eigene Leistung, sondern durch göttliche Berufung und Gnade.

Diese alttestamentliche Theologie bereitet die spätere christliche Lehre von der Vergöttlichung (Theosis) und der Teilnahme der Heiligen am göttlichen Leben entscheidend vor. Die Heiligen im Neuen Bund treten nicht nur in die Nachfolge Christi, sondern auch in seine himmlische Regentschaft ein – und zwar in Fortführung der prophetischen Berufungen des Alten Bundes.

Die Menschwerdung Christi: Der Zugang wird geöffnet

Mit der Inkarnation Jesu Christi geschieht ein heilsgeschichtlicher Wendepunkt, der nicht nur für die Erlösung des Menschen entscheidend ist, sondern auch für seine Erhebung zur göttlichen Wirklichkeit. In der patristischen Theologie, besonders bei den Kirchenvätern der Ostkirche, wird diese Wahrheit so zusammengefasst:

„Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde.“

— Hl. Athanasius von Alexandrien

Diese Aussage drückt eine der zentralsten Überzeugungen der orthodoxen und altkirchlichen Theologie aus: Die Menschwerdung des Logos, also des göttlichen Wortes, bedeutet nicht lediglich moralische Verbesserung oder Vergebung der Sünden. Vielmehr geht es um eine göttliche Selbstmitteilung, die so tiefgreifend ist, dass die menschliche Natur selbst vergöttlicht wird, indem sie mit der göttlichen Natur Christi vereint wird – freilich ohne sich mit ihr zu vermischen oder aufzulösen.

Was bedeutet das konkret?

Vor Christus hatten nur ganz bestimmte Personen, wie etwa Propheten, punktuelle Zugänge zur göttlichen Sphäre – durch Visionen, Auditionen oder Träume. Diese Begegnungen waren außergewöhnlich, furchteinflößend und stets unter strengen Bedingungen. Der Eintritt in die himmlische Gegenwart Gottes, wie z. B. beim göttlichen Rat, war kein allgemein zugänglicher Bereich.

Doch durch die Menschwerdung geschieht etwas radikal Neues:

Die Trennung zwischen Himmel und Erde wird durchbrochen.

Die zweite göttliche Person der Dreifaltigkeit nimmt eine vollständige menschliche Natur an – nicht nur äußerlich, sondern in wahrer hypostatischer Einheit. Damit wird die menschliche Natur an sich erhöht und in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen.

Der Apostel Paulus fasst diese Erhebung in Epheser 2,6 in fast schwindelerregende Worte:

„[Gott] hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt in den himmlischen Regionen in Christus Jesus.“

Das bedeutet: Wer mit Christus durch Taufe und Glaube vereint ist, sitzt mit ihm bereits jetzt – geistlich – im Himmel. Die volle Schau Gottes ist zwar erst in der kommenden Welt vollkommen, doch der Zugang ist nicht mehr verschlossen. Das, was im Alten Bund nur einzelnen Auserwählten möglich war, steht nun allen offen, die in Christus leben.

Die göttliche Liturgie als Vorgeschmack der himmlischen Realität

In der orthodoxen Liturgie zeigt sich diese Wahrheit auf mystische Weise: Die Eucharistie wird verstanden als Teilnahme am himmlischen Gottesdienst, an dem Engel und Heilige gegenwärtig sind. Die Kirche ist nicht nur eine irdische Gemeinschaft, sondern eine kosmische, himmlisch-irdische Wirklichkeit, in der Christus als Hohepriester im Zentrum steht – und wir, sein Leib, haben in ihm Zugang zur Herrlichkeit Gottes.

Die Heiligen als lebendiger Beweis

Dass Heilige nach ihrem Tod in die Herrlichkeit eingehen, ist keine bloße Hoffnung, sondern Ausdruck dieser neuen Wirklichkeit in Christus. Sie sind der Beweis, dass die Menschheit tatsächlich zum Thron Gottes erhoben wurde. Sie leben nicht nur „bei Gott“, sondern mit Gott, als seine Mitregenten (vgl. Offb 20,6), als Teil des himmlischen Rates.

Diese Lehre ist in ihrer Tiefe kaum zu überschätzen:

Durch Christus ist der Himmel nicht mehr fern – sondern geöffnet. Nicht symbolisch, sondern tatsächlich. Der Mensch lebt nicht mehr bloß vor Gott, sondern in Gott.

Was im Alten Bund Vorrecht der Propheten war, ist im Neuen Bund Berufung für jeden Getauften.

Die Heiligen: Teilnehmer am himmlischen Gottesdienst

Die Vorstellung, dass der Gottesdienst der Kirche auf Erden nicht einfach nur ein menschlicher Akt ist, sondern Teilhabe am himmlischen Kultgeschehen, ist eine der tiefsten und ältesten Überzeugungen der Kirche – insbesondere der orthodoxen Tradition. Diese Lehre wurzelt direkt in der biblischen Offenbarung und wird in der Liturgie nicht nur geglaubt, sondern vollzogen.

Himmlischer und irdischer Gottesdienst – eine Einheit

In der Offenbarung des Johannes (Offb 4–5) wird ein lebendiger Blick in den Himmel gewährt:

Gott sitzt auf dem Thron, umgeben von vier lebendigen Wesen und 24 Ältesten. Unaufhörlich erschallt der Lobgesang: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott“. Engel, Heilige und Märtyrer beten, loben und verherrlichen Gott.

Dieser himmlische Gottesdienst ist das Urbild jeder christlichen Liturgie. Die irdische Feier der Eucharistie – besonders in der göttlichen Liturgie des Ostens – ist keine bloße Nachahmung, sondern reale Teilnahme an diesem ewigen Geschehen. In jeder Eucharistie wird die Kirche mystisch mit dem Himmel vereint:

„Wir heben unsere Herzen empor…“ – „Wir haben sie beim Herrn.“

Wenn die Kirche Eucharistie feiert, versammelt sie sich nicht nur mit den anwesenden Gläubigen, sondern mit den Engeln, Erzengeln, den Mächten und Kräften des Himmels, wie es in der Liturgie des hl. Basilius heißt. Es ist ein Zusammenklingen von sichtbarer und unsichtbarer Kirche.

Die Rolle der Heiligen

In dieser Realität nehmen die Heiligen eine zentrale Stellung ein:

Sie sind vollendete Glieder des Leibes Christi. Sie sind lebendige Zeugen der Auferstehung und der Vergöttlichung (Theosis). Sie stehen nicht außerhalb des göttlichen Wirkens, sondern mitten darin – als Mitregierende, als Fürsprecher, als Teilnehmer am Lobpreis.

Die Heiligen sind nicht einfach „bei Gott“ in passivem Frieden, sondern sie leben in Gott und wirken mit Gott. Ihre Liebe endet nicht mit dem Tod. Vielmehr wird sie vergöttlicht, vergrößert und universalisiert. Deshalb betet die Kirche mit ihnen und zu ihnen – nicht in Konkurrenz zu Christus, sondern in ihm, da sie mit ihm vereint sind.

Nicht weniger gegenwärtig als Christus selbst

Dass die Heiligen unsichtbar sind, bedeutet in der Theologie der Kirche nicht Abwesenheit. Auch Christus selbst ist uns nach seiner Himmelfahrt nicht sichtbar, aber dennoch wahrhaft gegenwärtig – in seinem Leib, seinem Geist, seiner Eucharistie. Ebenso sind die Heiligen unsichtbar, aber anwesend in der Liturgie, im Glaubensleben, in der Fürbitte.

So wie der Himmel nicht „fern“ ist, sondern eine andere Dimension der göttlichen Gegenwart, so sind auch die Heiligen nicht weit weg, sondern in Christus gegenwärtig unter uns. Der heilige Johannes Chrysostomus formulierte es so:

„Wo die Eucharistie ist, da ist der Himmel auf Erden. Und wo der Himmel ist, da sind die Heiligen.“

Die Heiligen als Mitwirkende am göttlichen Plan

Sie sind nicht nur Betende, sondern aktive Teilnehmer am Heilswirken Gottes. In der Offenbarung heißt es, dass die Gebete der Heiligen wie Weihrauch aufsteigen vor den Thron Gottes (Offb 5,8). Das bedeutet:

Ihre Fürbitte ist wirksam. Ihre Nähe zur göttlichen Majestät macht sie zu echten Helfern im Erlösungswerk. Ihre Heiligkeit strahlt auf die ganze Kirche aus, als Vorbild, Trost und geistliche Stütze.

Sie sind sozusagen Teil des göttlichen Rates, wie ihn die Propheten sahen – nicht in ihrer eigenen Autorität, sondern als vollendete Glieder des verherrlichten Christus, der das Haupt des göttlichen Hofstaates ist.

Henoch, Elija, Mose – und Maria: Vorläufer und Erfüllung der himmlischen Erhebung

Die heilige Schrift bezeugt an mehreren Stellen, dass bestimmte Personen bereits im Alten Bund in eine besondere Beziehung zur himmlischen Welt traten – eine Beziehung, die über das normale menschliche Schicksal hinausgeht. Diese Personen sind Henoch, Elija und Mose. Ihre Lebensgeschichten und besonders ihr „Übergang“ aus dieser Welt sind keine bloßen Legenden, sondern theologische Hinweise auf eine höhere Berufung des Menschen: die Berufung zur Teilnahme an Gottes Gegenwart.

Henoch – der Wanderer mit Gott

In Genesis 5,24 lesen wir über Henoch:

„Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott hatte ihn hinweggenommen.“

Dieser schlichte Satz ist einer der geheimnisvollsten des Alten Testaments. Henoch stirbt nicht, wie die übrigen Patriarchen, sondern wird „von Gott genommen“ – ein Ausdruck, der auf eine Entrückung in den Himmel deutet. Die spätere jüdische Literatur, insbesondere das Buch Henoch, entfaltet dieses Motiv: Henoch wird nicht nur entrückt, sondern erhält Einblick in die himmlischen Geheimnisse, in den göttlichen Gerichtssaal und wird sogar als himmlisches Wesen umgestaltet.

In der sog. „Zweiten Tempelzeit“ galt Henoch als Inbegriff eines Menschen, der durch Buße, Reinheit und Gottesfurcht zur himmlischen Würde gelangt ist – ein Vorbild für die spätere Theologie der Vergöttlichung (Theosis).

Elija – der feurige Prophet

In 2 Könige 2,11 heißt es:

„Und siehe, ein feuriger Wagen mit feurigen Pferden trennte die beiden, und Elija fuhr im Sturmwind zum Himmel auf.“

Auch Elija stirbt nicht den natürlichen Tod, sondern wird in den Himmel aufgenommen. Die kirchliche Tradition sieht darin nicht bloß eine Ausnahme, sondern eine bewusste Vorwegnahme derjenigen, die in besonderer Weise für Gott wirken. Elija, der eifernde Prophet gegen Götzendienst und Verfall, wird nicht dem Tod überlassen, sondern dem himmlischen Rat eingegliedert – als Vorbild eines Propheten, der nicht nur Gottes Wort verkündete, sondern in dessen Gegenwart lebte.

In der Offenbarung des Johannes (Kap. 11) werden zwei Zeugen beschrieben, die am Ende der Zeit auftreten – viele Kirchenväter sehen darin Henoch und Elija, weil beide nicht gestorben sind, sondern für eine noch ausstehende himmlische Sendung bewahrt wurden.

Mose – der Verborgene

Mose, der größte Prophet des Alten Bundes, starb nach Deuteronomium 34 tatsächlich, doch sein Grab blieb unbekannt. Die Epistel des Judas (V. 9) gibt einen überraschenden Einblick in die Frühtradition:

„Michael aber, der Erzengel, als er mit dem Teufel stritt und über den Leib Moses verhandelte…“

Warum stritt Satan um den Leib Moses? Weil der Tod nicht das letzte Wort über Mose haben sollte. Viele Kirchenväter sahen in diesem Streit einen Hinweis darauf, dass Mose nicht der Verwesung überlassen wurde, sondern in einer geheimnisvollen Weise leiblich bewahrt blieb – was wiederum auf eine himmlische Berufung deutet.

Mose erscheint auch in der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor (Mt 17, Mk 9, Lk 9) zusammen mit Elija – beide repräsentieren das Gesetz und die Propheten, und beide sind lebendig, im Licht der göttlichen Herrlichkeit Christi.

Maria – die Erfüllung alttestamentlicher Vorbilder

Die Gottesmutter Maria steht in einzigartiger Weise in Kontinuität mit diesen alttestamentlichen Gestalten – und übertrifft sie doch alle in Würde, Heiligkeit und Berufung. Während Henoch, Elija und Mose prophetische Vorläufer waren, ist Maria die erste und vollkommene Frucht der Erlösung in Christus.

Ihre leibliche Aufnahme in den Himmel

Die Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (orthodox: Entschlafung der Gottesgebärerin, lat.: Assumptio) ist keine mittelalterliche Erfindung, sondern tiefe patristische Tradition. Sie bezeugt, dass Maria – aufgrund ihrer völligen Sündenfreiheit und einzigartigen Rolle als Mutter Gottes – nicht dem Tod überlassen wurde, sondern von Christus selbst mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.

Maria ist somit nicht nur ein geretteter Mensch, sondern eine mitregierende Königin an der Seite ihres Sohnes, wie es Offenbarung 12 bildlich beschreibt:

„Und ein großes Zeichen erschien am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, der Mond unter ihren Füßen…“

Maria im göttlichen Rat

Maria nimmt nicht nur passiv am göttlichen Leben teil. Die orthodoxe Theologie bezeugt, dass sie aktive Fürsprecherin ist – „mehr als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim“, wie es in der Liturgie heißt. Sie ist Archetyp der Kirche, das leuchtende Bild dessen, was alle Heiligen werden sollen: vollkommene Teilhaber an Gottes Herrlichkeit, nicht bloß geistlich, sondern auch leiblich verklärt.

In ihr erfüllt sich, was Henoch, Elija und Mose in Teilen vorweggenommen haben:

Wie Henoch lebt sie in vollkommener Gemeinschaft mit Gott. Wie Elija wurde sie vom Tod nicht überwältigt, sondern aufgenommen. Wie Mose übersteigt ihr Leib das gewöhnliche Geschick der Verwesung.

Doch mehr noch: Als Mutter des fleischgewordenen Logos trägt sie in sich nicht nur die göttliche Gegenwart, sondern ist Quelle des neuen Lebens, Mutter des neuen Adam, neue Eva und Königin des Himmels – die erste unter den Heiligen und vollendete Bürgerin des göttlichen Rates.

Der himmlische Thronsaal: Ort des Gerichtes und der Mitregentschaft

In den prophetischen Schriften der Bibel – besonders in Daniel 7 – begegnet uns ein eindrucksvolles Bild: Der Himmel ist nicht leer oder statisch, sondern ein lebendiger, dynamischer Ort von Herrschaft, Gericht und Anbetung. Dieses Bild ist nicht als bloße Symbolik zu verstehen, sondern als geistliche Realität, die durch Christus allen Gliedern seines Leibes zugänglich gemacht wurde.

Die Vision Daniels: Der Alte der Tage und der Menschensohn

Daniel schreibt:

„Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und ein Hochbetagter sich setzte; sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle. Sein Thron war Feuerflammen… Tausend mal Tausende dienten ihm, und Zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm…“ (Dan 7,9–10)

Dieses Bild erinnert an einen himmlischen Gerichtshof: Der „Alte der Tage“ (eine theophane Darstellung Gottes des Vaters) thront im Zentrum, doch es werden mehrere Throne aufgestellt – im Plural! Dies deutet darauf hin, dass weitere Wesen mitregieren – nicht in Konkurrenz, sondern in Gemeinschaft mit Gott.

Wenig später sieht Daniel den Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels kommt, und dem „Herrschaft, Ehre und Königtum gegeben“ wird. Die christliche Tradition sieht hierin eine klare Vorausdeutung auf Christus, der als der wahre Menschensohn die Menschennatur selbst auf den Thron der göttlichen Herrschaft hebt.

Die Mitregentschaft der Heiligen

Was in Daniel als Vision beginnt, wird im Neuen Testament zur erfüllten Realität. Christus sagt in Offenbarung 3,21:

„Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe.“

Und in Offb 20,4 heißt es:

„Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben.“

Die Throne, die Daniel sah, stehen also nicht leer: Sie sind bestimmt für die Heiligen, für jene, die in Christus überwinden. Die Kirche lehrt, dass die Heiligen nicht nur im Himmel wohnen, sondern an der Herrschaft Christi Anteil nehmen – eine Mitregentschaft in Liebe, Gebet und geistlicher Autorität.

Der Thronsaal ist nicht fern – sondern gegenwärtig

Diese Herrlichkeit ist keine bloße Hoffnung auf ein fernes Jenseits. In Epheser 2,6 schreibt Paulus über die Gläubigen:

„[Gott] hat uns mitauferweckt und mitversetzt in die himmlischen Regionen in Christus Jesus.“

Das ist keine Zukunftsvision, sondern ein gegenwärtiger geistlicher Status: Wer in Christus getauft ist, nimmt jetzt schon teil an seiner himmlischen Wirklichkeit. Diese Realität wird sichtbar und erfahrbar in der Liturgie, besonders in der Eucharistie, wo sich Himmel und Erde verbinden. Die Kirche ist nicht nur „auf dem Weg“, sondern bereits eingebettet in den himmlischen Kult und die göttliche Herrschaft.

Gericht, aber nicht als Verdammnis – sondern als Ordnung

Der Thronsaal ist auch der Ort des Gerichts, doch nicht im modernen, rein strafenden Sinn. Das biblische „Gericht“ (hebr. mishpat) meint Ordnung, Gerechtigkeit, Wiederherstellung. Im himmlischen Gerichtssaal wird:

das Böse entlarvt, das Gute geehrt, und die Ordnung der Schöpfung wiederhergestellt.

Die Heiligen, die mit Christus regieren, nehmen Anteil an dieser göttlichen Ordnungsmacht – durch ihr Gebet, ihre Fürbitte und ihr Zeugnis, das wie Licht in die Welt hineinleuchtet (vgl. Mt 5,14).

Der Tod: Kein Hindernis für die Gemeinschaft mit Gott

Der christliche Glaube verkündet in seinem innersten Kern eine Wahrheit, die das menschliche Denken über Tod, Vergänglichkeit und Trennung grundlegend verwandelt: In Christus ist der Tod nicht mehr das Ende, sondern ein Übergang in die Fülle des göttlichen Lebens. Durch die Menschwerdung, den Tod und die Auferstehung Christi ist jene Macht gebrochen worden, die den Menschen einst von Gott trennte. Der Tod hat seine endgültige Autorität verloren.

In der frühen Kirche war diese Überzeugung nicht nur ein theologisches Konzept, sondern eine gelebte Wirklichkeit. Der Tod wurde nicht länger als völlige Trennung von den Lebenden verstanden, sondern als Eintritt in eine neue Daseinsform, in der die Gemeinschaft mit Gott und mit der Kirche nicht unterbrochen, sondern vollendet wird. Wer in Christus stirbt, lebt – nicht metaphorisch, sondern wirklich, im Licht der göttlichen Herrlichkeit.

Diese Wahrheit wurzelt tief in der biblischen Offenbarung. Schon Christus selbst verkündete, dass Gott nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen ist (Lk 20,38). Auch jene, die „entschlafen“ sind, sind für ihn lebendig, weil sie in seiner Gegenwart weilen. Diese Sichtweise ist grundlegend für das christliche Verständnis vom Tod: Er ist kein Abbruch der Beziehung, sondern eine Transformation der Gemeinschaft. Die Liebe, die in Gott gegründet ist, stirbt nicht – sie verklärt sich.

Die Kirche bezeichnet diese bleibende Verbindung zwischen Lebenden und Entschlafenen als die Communio Sanctorum, die Gemeinschaft der Heiligen. Sie ist nicht abstrakt oder symbolisch zu verstehen, sondern als eine konkrete geistliche Realität. In Christus, dem Haupt des Leibes, sind alle Glieder – ob auf Erden oder im Himmel – miteinander verbunden. Die Heiligen und alle in Christus Entschlafenen gehören weiterhin zur Kirche, sie leben in der himmlischen Versammlung, nehmen Anteil am Lobpreis Gottes und bleiben durch ihre Fürbitte mit der irdischen Kirche verbunden.

Besonders in der orthodoxen Liturgie wird diese Wahrheit greifbar. Wenn die Kirche die Göttliche Liturgie feiert, geschieht dies in Einheit mit den Engeln und allen Heiligen. Die Namen der Verstorbenen werden genannt, ihre Seelen werden Gott übergeben, und sie werden als lebendige Glieder der Kirche betrachtet, nicht als „Vergangene“. Die Fürbitten für die Verstorbenen sind Ausdruck des Glaubens, dass sie nicht tot sind, sondern in Christus leben und wachsen – in Liebe, Erkenntnis und Licht.

Die Heiligen sind das sichtbarste Zeugnis dieser Realität. In ihnen wird offenbar, dass der Tod nicht der Schlusspunkt, sondern der Anfang der Vollendung ist. Ihr Leben geht nicht zu Ende, sondern wird verwandelt – so wie ein Same stirbt, um Frucht zu bringen. Die Heiligen stehen nicht nur vor Gott, sondern sie leben in Ihm, und sie wirken mit Ihm. Ihre Gegenwart in der Kirche ist nicht vage oder nostalgisch, sondern kraftvoll, wirksam und gegenwärtig. Sie beten mit uns und für uns, sie kämpfen geistlich an unserer Seite, und sie sind Zeugen jener kommenden Welt, in die wir alle gerufen sind.

Der Tod ist also in der christlichen Erfahrung kein Hindernis für die Gemeinschaft, sondern ein neuer Zugang zur Tiefe dieser Gemeinschaft – ein Eintritt in das Mysterium Gottes selbst. In der Einheit mit Christus bleibt nichts verloren, was in der Liebe geschehen ist. Die Kirche lebt nicht in Erinnerung an die Heiligen, sondern in lebendiger Beziehung zu ihnen. Und wer in Christus stirbt, lebt weiter – nicht außerhalb der Kirche, sondern in ihrer Mitte, verborgen in Gott.

Fazit: Die Heiligen als himmlische Mitarbeiter Gottes

Die christliche Lehre von den Heiligen ist keine romantisierte Vorstellung einer fernen, abgeschlossenen Jenseitswelt, sondern Ausdruck einer konkreten geistlichen Wirklichkeit, die unmittelbar mit der Gegenwart der Kirche verknüpft ist. Die Heiligen, so bezeugt es die Schrift ebenso wie die Liturgie und die Erfahrung der Kirche, sind nicht entfernt oder untätig, sondern lebendig, aktiv und gegenwärtig im Dienst Gottes.

Sie sind Teilnehmer am himmlischen Gottesdienst – nicht als Zuschauer, sondern als Mitsänger des ewigen Lobes vor dem Thron Gottes. In der himmlischen Liturgie, wie sie uns besonders in der Offenbarung des Johannes gezeigt wird, preisen sie das Lamm, das geschlachtet wurde, und beten gemeinsam mit den Engeln und Ältesten. Ihr Gebet ist nicht abgetrennt vom Gebet der Kirche auf Erden, sondern untrennbar verbunden mit ihr. Was die Kirche auf Erden feiert, geschieht in mystischer Einheit mit den Heiligen, die es im Himmel vollenden.

Darüber hinaus sind die Heiligen Mitglieder des göttlichen Rates, wie er bereits im Alten Testament angedeutet wurde und in der neutestamentlichen Offenbarung seine endgültige Gestalt findet. Sie regieren mit Christus, dem Haupt, und haben Anteil an seiner Herrschaft über das All. Dies bedeutet nicht, dass sie Gott gleich wären, sondern dass sie in Christus Anteil an seinem königlichen Priestertum erhalten haben. Sie sind Ratgeber, Fürsprecher und Mitarbeiter im göttlichen Heilsplan – in einer Weise, die das Bild des Himmels als bloß „stillen Ort des Friedens“ weit übersteigt.

Die Heiligen sind schließlich auch aktive Fürsprecher für die Menschen auf Erden. Ihr Gebet hat Gewicht, nicht weil sie Gott „überreden“ müssten, sondern weil sie in vollkommener Einheit mit seinem Willen stehen. Ihr Mitfühlen, ihr geistliches Mitleiden, ihr Eintreten vor Gott ist Ausdruck jener Liebe, die in Christus weder durch Zeit noch durch Tod begrenzt ist. Die Heiligen sind also nicht fern – sie sind auf geheimnisvolle Weise näher, als wir oft denken, weil sie in der Liebe Gottes vollkommen gegenwärtig sind.

Diese Sichtweise stellt einen bewussten Gegenentwurf zur modernen Tendenz dar, Himmel und Erde, Diesseits und Jenseits, Geistliches und Sichtbares voneinander zu trennen. Sie widerspricht dem individualistischen und funktionalisierten Denken unserer Zeit, das den Tod als Endpunkt und die Religion als bloßen moralischen Rahmen sieht. Stattdessen lädt sie uns ein, das Leben in Christus als durchgehend zu begreifen – über Tod, Raum und Zeit hinaus. In der Gemeinschaft der Heiligen sind wir verbunden mit einer lebendigen Wolke von Zeugen, wie der Hebräerbrief sagt (Hebr 12,1), und mit einer Stadt, die nicht von Menschen gebaut ist, sondern von Gott selbst.

Wer sich dieser Realität öffnet, erkennt: Das ewige Leben beginnt nicht erst nach dem Tod. Es beginnt jetzt, im Glauben, im Gebet, in der Eucharistie, im Leben der Kirche. Die Heiligen sind keine fremden Gestalten einer fernen Welt, sondern Geschwister, Vorläufer, Wegbegleiter, deren Leben uns zeigt, wohin der Weg führt – und wie wir schon jetzt daran Anteil haben können.

So ruft uns die Lehre von den Heiligen nicht zur bloßen Verehrung, sondern zur Nachahmung, zur Verbundenheit, zur geistlichen Teilhabe. In Christus ist der Himmel offen, und die Gemeinschaft mit den Heiligen ist nicht nur Trost, sondern Aufruf zur Heiligkeit, zur Umkehr und zur Hoffnung. Denn was sie sind, das sind auch wir berufen zu werden – lebendige Mitarbeiter Gottes in seiner Herrlichkeit.



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