Die Urkirche und die frühe Christenheit (1.–3. Jh.)
Didache (ca. 90–120 n.Chr.), Kapitel 16
Die Didache („Die Lehre der Zwölf Apostel“) ist eines der ältesten außerbiblischen christlichen Dokumente. In Kapitel 16 heißt es:
„Dann wird die Welt von einem großen Feuer geprüft werden… Menschen werden in der Trübsal vergehen… dann wird das Zeichen am Himmel erscheinen, und der Herr wird mit seinen Heiligen kommen…“
(Didache 16,6–8)
Die Reihenfolge ist eindeutig: Trübsal → Zeichen → Wiederkunft → Sammlung der Heiligen.
Keine Spur einer vorzeitigen Entrückung oder Flucht vor der Trübsal.
Die Gläubigen sind inmitten der Prüfung, nicht davon entfernt.
Fachliteratur:
„Die Didache spiegelt einen apokalyptischen Realismus wider, der die Gemeinde mitten in der letzten Bedrängnis verortet.“
– Michael W. Holmes (Hg.), The Apostolic Fathers, Baker Academic, 2007, S. 353.
Irenäus von Lyon (ca. 180 n.Chr.)
In seinem Werk Adversus Haereses (Gegen die Häresien) beschreibt Irenäus:
„Der Antichrist wird regieren, drei Jahre und sechs Monate… die Kirche wird in Bedrängnis sein… dann wird der Herr vom Himmel erscheinen…“
(Adv. Haer. V, 30,3)
Die Gemeinde wird nicht vor der Trübsal entrückt.
Irenäus sieht die Gemeinschaft der Gläubigen aktiv im Kampf gegen den Antichristen, bis Christus eingreift.
Fachliteratur:
„Irenäus vertrat eine klar posttribulationistische Sicht. Die Gemeinde geht durch die Trübsal hindurch bis zur sichtbaren Wiederkunft Christi.“
– George Eldon Ladd, The Blessed Hope, Eerdmans, 1956, S. 31.
Hippolyt von Rom (ca. 200 n.Chr.)
In De Christo et Antichristo beschreibt Hippolyt:
„Die Frau in der Wüste stellt die Kirche dar, die in der Trübsalszeit von Gott erhalten wird… Dann kommt Christus und richtet den Gesetzlosen.“
(De Christo et Antichristo, 61)
Die Gemeinde ist nicht verschwunden, sondern bewahrt während der Trübsal (vgl. Offb 12,6).
Er erwartet die Wiederkunft nach dem Auftreten des Antichristen – identisch mit 2. Thess 2.
Fachliteratur:
„Hippolyt steht ganz in der Linie von Daniel und Paulus: Der Antichrist kommt, die Gemeinde leidet – und Christus greift ein.“
– Klaus Wengst, Pax Romana und die Christen, Stuttgart, 1981, S. 187.
Tertullian (ca. 200 n.Chr.)
In De Resurrectione Carnis und Apologeticum macht Tertullian deutlich:
„Das Reich des Antichristen wird sich erheben… doch die Kirche wird ihm widerstehen bis zur Rückkehr des Herrn.“
(Apologeticum, 32)
Die Kirche bleibt in der Welt, nicht im Himmel.
Der Gedanke einer Entrückung vor der Trübsal war ihm völlig fremd.
Fachliteratur:
„Tertullians Eschatologie ist kampfhaft: Die Gemeinde ist Teil der Auseinandersetzung mit dem Antichristen bis zum Kommen Christi.“
– J.N.D. Kelly, Early Christian Doctrines, HarperOne, 1978, S. 465.
Fehlende Belege für eine Prätribulationslehre vor dem 19. Jahrhundert
Trotz intensiver Forschung gibt es bis ins 19. Jahrhundert keinen einzigen schriftlichen Beleg, der eine Entrückung vor der Trübsal systematisch lehrt. Auch die Reformatoren (Luther, Calvin, Zwingli) lehnten diese Vorstellung ab.
Der Ursprung der Prätribulationslehre: John Nelson Darby (1800–1882)
Erst John Nelson Darby, Begründer der „Brüderbewegung“, entwickelte um 1830 eine systematische Lehre, die eine zweistufige Wiederkunft Christi vertrat:
1. Geheime Entrückung der Gemeinde vor der Trübsal
2. Sichtbare Wiederkunft am Ende zur Aufrichtung des Reiches
„Die wahre Gemeinde wird vor dem Beginn der Gerichte hinweggenommen…“
– J.N. Darby, Collected Writings, Bd. 11, Prophetic, 1833
Diese Sicht wurde durch die Scofield Reference Bible (1909) im angloamerikanischen Raum weit verbreitet. Doch sie hat keine Wurzeln in der frühen Kirche.
Robert Gundry resümiert:
„Der Prätribulationismus ist eine theologische Neuschöpfung – kein Echo der apostolischen Tradition.“
(First the Antichrist, Baker, 1997, Kap. 6)
Ben Witherington III ergänzt:
„Die Vorstellung einer Entrückung vor dem Antichristen ist ein Produkt systematischer Spekulation, nicht neutestamentlicher Exegese.“
(Jesus, Paul and the End of the World, IVP, 1992, S. 118)
Die posttribulationistische Kontinuität
Die posttribulationistische Sicht ist:
die älteste dokumentierte Position in der Kirchengeschichte
theologisch kohärent mit der biblischen Lehre von Leiden, Bewahrung und Wiederkunft
und historisch bezeugt von einer durchgängigen Linie der Kirchenväter, Reformatoren und modernen Bibelwissenschaftler wie:
George E. Ladd
Robert Gundry
Craig Keener
Douglas Moo
Anthony Hoekema
Wissenschaftliche Quellenverweise
Michael W. Holmes (Hg.), The Apostolic Fathers, Baker Academic, 2007.
George E. Ladd, The Blessed Hope, Eerdmans, 1956.
J.N.D. Kelly, Early Christian Doctrines, HarperOne, 1978.
J.N. Darby, Collected Writings, Bd. 11, 1833.
Ben Witherington III, Jesus, Paul and the End of the World, IVP, 1992.
Klaus Wengst, Pax Romana und die Christen, Kohlhammer, 1981.
Robert Gundry, First the Antichrist, Baker Academic, 1997.
Craig Keener, Revelation, NIV Application Commentary, 2000.
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